"Der Lehrstuhl - das bin ich" - Johannes Varwick und die Demokratie

Zugegeben – für diejenigen, die unsere frühere Kritik an der Person Johannes Varwick etwas verfolgt haben, erscheint es als eine Provinzposse, wenn sich Studierende über einen liberalen Professor aufregen, dessen Liberalismus allerdings ohne das Prinzip der Trennung von Politik und Militär funktioniert. Vielleicht wäre es im Angesicht des RCDS, der die Bestellung von Kondomen zu einer gesellschaftlichen Gretchenfrage umdichtet, auch gar nicht wichtig. Sein Facebook-Auftritt, den er stolz unter dem Namen des Lehrstuhles betreibt, und nur ein kleines Licht am Meinungshimmel der Internationalen Beziehungen (IB) ist, beherbergt aber Positionen, die bei der Betrachtung der aktuellen gesellschaftlichen Lage in Sachsen-Anhalt mindestens kontraproduktiv sind, wenn nicht sogar dazu beitragen, dass ein Widerstand gegen die offen voranschreitende rassistische Politisierung durch die AfD erschwert wird.

Die politischen Aktivitäten von Herrn Varwick sind aus folgenden Gründen kritisch zu sehen. Fangen wir bei seinem Engagement für die Bundeswehr und die NATO an. Seit 2014 ist er Beirat der Clausewitz-Gesellschaft, welche bekannt für ihre Verbindung zur Bundeswehr ist, sich aus Ex-Militärs und aktiven Offizieren konstituiert, und bereits früher durch kriegsverherrlichende Anwandlungen aufgefallen ist, wozu auch die Ehrenmitgliedschaft ehemaliger NS-Generäle und NPD-Kontakte zählen. [1] Varwick wirbt auch für eine Exkursion nach Brüssel, in deren Fokus eine Diskussion mit "Experten" der NATO stehen soll. Dabei nutzt er geschickt den Expertenbegriff in Verbindung mit der oberflächlichen Legitimität seiner Seite aus: Als Träger einer Professur gilt seine vorgefertigte Meinung als Wissen, weil man ihm eben Expertise oder Fachkenntnis unterstellt. Anti-militaristische Meinungen oder gar Exkursionsangebote findet man bei ihm natürlich nicht. [2]

Auch sonst kann sich hauptsächlich eine Seite im Glanz der Expertise sonnen. Postet Varwick etwa konservative Quellen, wie die "FAZ" oder "Die Welt" zu Themen wie NATO-Einsätzen oder der EU-Grenzsicherung und der Geflüchtetenthematik, kommentiert er diese positiv. Zum Beispiel mit "Genau! Drei Wege wie Europa seine Außengrenze schützen kann" und am Beispiel des FAZ-Artikels, der Geflüchtete als schlichte Gefahr für den europäischen Wohlstand propagiert, mit "lesenswert". Gerade das zweite Beispiel mag auf den ersten Blick neutral und als netter Lektürehinweis daher kommen. Aber bei einem der wenigen Artikel aus einer nicht als besonders konservativ verstandenen Quelle, wie der TAZ, bei der es um die Abschaffung von Grenzen geht, kommentiert er "Spinnereien,
aber nett zu lesen...". Nicht nur, dass Artikel mit abweichender Meinung im Endeffekt nur als
konservatives Alibi der Meinungsfreiheit herhalten müssen. Er macht auch noch klar, dass eine entsprechende Haltung in der Forschung und Lehre der Internationalen Beziehungen keine positive Anerkennung erhalten darf und sich verbittet. Hier wird Wissen tendenziös mit entsprechender Legitimität vorgewärmt.

An anderer Stelle urteilt er mit Kommentaren wie "wobei uns zugegebenermaßen der rechte Rand - AfD und NPD - aktuell mehr Sorgen bereiten als die LINKE - die aber Deutschland, wenn sie denn dürfte, außenpolitisch ebenfalls in die Isolation führen würde". In die gleiche Richtung zielt von Varwick jüngst geposteter und mit "interessant" beschriebener Welt-Artikel, der der LINKEN attestiert, aus dem gleichen Holz wie die AfD zu sein. Im Kontext der Facebook-Seite täuschen diese Kommentare sozialwissenschaftliche Objektivität und Richtigkeit vor, wobei es tatsächlich darum geht, linkes Denken zu diskreditieren. Das drückt sich schon darin aus, dass er eben nicht sein Privatprofil mit persönlichen Tiraden überfrachtet, sondern die Seite des Uni-Lehrstuhls, die entgegen allgemeiner Gepflogenheiten, stolz mit den Siegeln der Universität wirbt. Studierende dürfen das Uni-Siegel nicht einmal auf ihren Hausarbeiten nutzen; wie so oft wird offensichtlich mit zweierlei Maß gemessen.

Mit seinen Kommentaren, die er versteckt und unter Ausnutzung eines Namens, der für eine
pluralistische Bildungsinstitution stehen sollte, verbreitet, versucht er Inhalte von einem
gesellschaftlichen Diskurs auszugrenzen, die nicht ins neoliberale und militaristische Konzept seiner Lehrinhalte an der Universität passen. [3] Es gehört für Varwick außerdem zum alltäglichen Geschäft, unliebsame Kommentare zu löschen und Leute zu blocken - hier sind öffentliche Diffamierungen gegen uns und seine Kritikunfähigkeit nicht mal inbegriffen. Varwick ist ein glühendes Beispiel für die Ideologie der demokratischen Mitte, in der sowohl Linke wie Nazis - auch die AfD - als unwerter Bodensatz einer Gesellschaft gelten. Diese politische Gleichsetzung trägt eine wesentliche Mitschuld an der Radikalisierung der Menschen in Sachsen-Anhalt, welche seinen aktuellen völkisch-nationalen Höhepunkt im Wahlerfolg der AfD findet.

Diese Ideologie funktioniert einfach: man braucht erstens eine ökonomische Ungerechtigkeit, die in ihrer Konsequenz zur sozialen Degradierung von Menschen führt, halte diese aber für gott- bzw. marktgegeben und indiskutabel. Zweitens lässt man diesen Menschen den Raum, an Stelle des Staates andere Menschen (besonders Geflüchtete) aus rassistischen und sozialdarwinistischen Motiven dafür verantwortlich zu machen. Drittens wischt man alle Ansätze, die Ungerechtigkeit der Mitte abzuschaffen, unter dem latenten Vorwand von Extremismus aus dem Relevanzbereich der Politik und setzt dabei praktischer Weise libertäres, emanzipatorisches und antikapitalistisches Denken mit Rassismus und völkischem Nationalismus gleich. Diese bürgerliche Ideologie nimmt den Rassist- *innen zwar nicht die Menschenfeindlichkeit ab, erschwert aber jede vernünftige Möglichkeit mit den Problemen besser und menschenfreundlich umzugehen.

Es ist dabei nicht weit hergeholt zu sagen, dass die von Professor Varwick verbreitete Stimmung ebenso ein Teil des Problems ist. Er trägt dahingehend Mitschuld an einer Gesellschaft, die jedes progressive Denken verteufelt. Diejenigen, die Ausbeutung und Ausgrenzung nicht aus unserer Welt verbannen wollen, sondern Bestehendes nur konsequent zu Ende denken, erhalten so ihre demokratisch legitimierte Stimme. So werden keine sinnvollen Antworten auf Krisenphänomene vertreten, die sich außerhalb der als erstrebenswert vorgegaukelten Pseudomitte des bürgerlichen Kapitalismus' artikulieren. Wenn Herr Varwick seine einseitige Einstellung gegenüber der Bundeswehr und der NATO als leider unumgängliche Lösung aller Konflikte proklamiert und mit dem Kommentar "So sieht's aus!" einen Artikel des Deutschlandfunks kommentiert, in dem ein NATO-General die Relativierung russischer Außenpolitik durch die AfD und der ihr oft sehr nahen
Friedensbewegung der Montagsmahnwachen, kritisiert, spielt er diesen auch noch in die Hände.

Statt mit der in seiner Lehre verankerten Feindschaft zwischen Menschen und daraus resultierend zwischen Staaten, zu brechen und diese zu kritisieren, wird dieser Antagonismus im Sinne der internationalen Anarchie als negative Grundannahme artikuliert. Herr Varwick erkennt dadurch gerne Russland als einen Universalfeind und versucht krampfhaft die NATO als dessen Gegenspieler vor ihrer eigenen Sinnlosigkeit zu bewahren. Zu glauben, dass der neue russische Nationalismus ein plötzlich aus dem Nichts entstandenes Eigenprodukt wäre, ist töricht. Auch wenn die russische Antwort auf das Scheitern wirtschaftlicher und sozialer Traumwelten fraglos nicht hinnehmbar ist, ist sie eine
vergleichbar verkürzte Denkweise, die auch jetzt in Opposition zum gescheiterten Neoliberalismus in Deutschland um sich greift. [4] Man kann den irrationalen und menschenfeindlichen Protest der AfD, der seine Ursachen in den herrschenden Verhältnissen hat, nicht begegnen, indem man diese ebenso irrational verteidigt. Die Ernte dieser Ideologie der Mitte wird sich allzu bald auch außerhalb des RCDS noch radikaleres Gehör an der Uni verschaffen. Als SDS müssen wir akzeptieren, dass wir in der
Vergangenheit solchem Verhalten viel zu wenig entgegengesetzt haben.

Da wir die politisch festgefahrenen Ansichten des Lehrstuhlinhabers nicht umstimmen können, aber wenigstens verhindern müssen, dass die mediale Darstellung und Artikulation des Fachbereichs von Herrn Varwick ideologisch vorgefärbt wird, schlagen wir Folgendes vor:

1. Der Facebookauftritt wird ab sofort mit Inhalten gefüllt, die Herr Varwick ausschließlich
gemeinsam in Absprache mit Mitarbeiter*innen und Studierenden, die ein Interesse an Partizipation haben, an seinem Lehrstuhl abgestimmt hat. Für seine persönliche Meinung, Quellenhinweise o.ä. hat ein Professor seine Lehrveranstaltungen und eine uniinterne Kommunikationsstruktur zur Verfügung. Einen öffentlichen Auftritt des Lehrstuhles, von dem ein Studierender bzw. eine Studierende sich durchaus repräsentiert fühlen darf, ist kein Ort zur Selbstverwirklichung narzisstischer Professoren. Gerade weil Studierende in der vermeintlichen Hochschuldemokratie kaum etwas zu sagen haben, muss die Forderung, an der Universität über den Inhalt und die Struktur unserer Lehre und den öffentlichen Auftritt der von uns besuchten Institutionen mitentscheiden zu können, eine grundlegende Forderung für den demokratischen Anspruch der Universität sein. Das
darf eben auch nicht vor Facebook-Auftritten halt machen.

2. Alternativ, wenn Herr Varwick sich der Herausforderung, neben dem Betteln um mehr
Beteiligung an seinen Vorlesungen, die kaum Platz für studentisches Mitwirken am Lehrstuhl bieten, einen pluralistischen öffentlichen Auftritt des Lehrstuhles zu betreiben nicht gewachsen sieht, sollte er diesen beenden/unter seinem eigenen Namen fortsetzen oder den Lehrstuhl in dazu fähige Hände übergeben - allerdings findet Varwick ja nicht mal mehr einen Hiwi, der/die für ihn arbeiten will.


[1] Clausewitz und die Kriegsverbrecher: http://www.spiegel.de/spiegel/vorab/clausewitz-
gesellschaft-ehrt-kriegsverbrecher-a-958852.html

[2] "Da die meisten Menschen die Richtigkeit der sich widersprechenden Informationen nicht überprüfen können, gewinnt in einem solchen Zusammenhang nicht selten die Ausstrahlung von Glaubwürdigkeit besonderes Gewicht." Siehe dazu:
https://www.unimuenster.de/Ejournals/index.php/jcsw/article/viewFile/315/292 und:
http://www.security-informatics.de/blog/?p=1273

[3] Prof. Varwick und die Militarisieurng des Lehrstuhls. Siehe die Analyse der Informationsstelle gegen Militarisieurng: http://www.imi-online.de/2015/10/21/varwick/

[4] zum Putinismus: „Beide [Putin und Jelzin, Anm.] haben versucht, die konkurrierenden Ansprüche zu steuern, nämlich den Drang nach politischer Partizipation und sozialer Sicherung einerseits, und die postsowjetische Fragmentierung Eurasiens sowie die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen auf internationaler Ebene andererseits.“
http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/165132/analyse-entwickelter-
putinismuswandel-ohne-entwicklung?p=all
Sowohl ein Produkt als auch ein Beleg der sozialen Formation des russischen Nationalismus findet sich auf der russischen regierungsnahen Seite sputniknews:
http://de.sputniknews.com/meinungen/20130715/266487506/Identittsfrage-Russische-Nationsucht-den-gemeinsamen-Nenner.html#ixzz43eFLUeZj

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