Ein "unappetitlicher" Professor
Wir sind
erschüttert über die Äußerungen des Professors für Internationale Beziehungen
und europäische Politik in Halle. Varwick äußerte sich in einem Interview mit
dem Deutschlandfunk zur sicherheits- und geostrategischen Bedeutung
Griechenlands, die es notwendig mache, von Griechenland nicht abzurücken[1].
Varwicks Haltung hat jedoch nichts mit Griechenland-Solidarität zu tun, sondern
offenbart erneut eine Kriegsrhetorik und diesmal einen Anti-Humanismus. Doch
was hat er gesagt?
Der
NATO-Freund Varwick spricht deutliche Worte: „Das heißt, wenn das Mittelmeer da
eine offene Flanke hat, dann wird das zu großen Problemen auch mit der inneren
Sicherheit in Europa führen“. Es ertrinken jährlich Tausende Geflüchtete im
Mittelmeer, die keine Chance haben, legal in die EU zu kommen und hier Asyl zu
beantragen. Varwick benutzt Kriegsvokabular und spricht von einer möglichen
"offenen Flanke" im Mittelmeer. Implizit entsteht die Aussage: Diese
Flanken gilt es zu verteidigen! Die Festung Europa darf nicht fallen!
Doch es wird noch bunter. Es müsse vermieden werden, "dass wir eine
Zerrüttung an der Südostflanke der NATO haben" und Griechenland dürfe "als
geostrategischer Brückenkopf in Richtung Nahost" nicht aufgegeben werden. Was
"wir" brauchen, sei eine "stabile Gegenküste". Solch eine
kriegerische Rhetorik, die die Welt nur in potenzielle Kriegsschauplätze,
Verbündete und Gegner_innen einteilt, erwartet man von Vertreter_innen der NATO
und anderen Militärbündnissen, aber nicht von einem/einer Professor_in. Wer die
große humanitäre Katastrophe, die sich dank der neoliberalen Austeritätspolitik
gegenwärtig in Griechenland abspielt, lediglich unter dem Gesichtspunkt von
Geostrategie und der widerlichen "Absicherung" gegenüber Refugees
abhandelt, der sollte ernsthaft über seinen humanitären Anspruch
nachdenken.
Im Interview
werden außerdem nationalistische Töne laut. Griechenland könne zu einem
"Einfalltor für Russland oder China" werden. Varwick verfällt hier in
eine Kalte-Kriegs-Rhetorik, bei der es darum geht, westliche
Einflusssphären gegen den "Russen" und die "Chinesen" zu
verteidigen. Dass die europäische Austeritätspolitik die griechische Regierung
dazu drängt, sich woanders Hilfe zu suchen, scheint ihm nicht verständlich zu
sein, sondern für Varwick gibt es in der Welt nur schwarz und weiß. Man müsse
gleichzeitig signalisieren, dass man Griechenland nicht aus der
"europäischen Familie" entlassen will. Was an sich "nett" klingt, ist für Varwick ein
instrumentelles Kalkül gegenüber Griechenland, da auf Griechenlands geopolitische Funktion nicht
verzichtet werden könne. Und überhaupt, was soll das für eine Familie sein, die
in Griechenland einen neoliberalen Kahlschlag hinterlässt und jedes Eintreten
einer griechischen Regierung für die Interessen der griechischen Bevölkerung als
idiotisch und „linksextrem“ abtut. Dass das Kürzungsmantra der EU ein
ökonomischer Irrweg ist, haben vor ein paar Tagen drei der bekanntesten
US-Ökonomen klar gestellt und der EU, EZB und dem IWF die Hauptverantwortung
für die derzeitige Krise attestiert[2]
- aber laut Professor Varwicks Facebookaussagen bzw. den Aussagen des
Lehrstuhles für internationale Beziehungen und europäische Politik ist es
Griechenlands eigene Schuld. Griechenland hätte eine historische Chance
verspielt.[3]
Zu guter Letzt
entlarvt Varwick sich selbst als Antidemokraten. Die gegenwärtige Regierung
unter Ministerpräsident Tsipras sei "eine sehr unappetitliche Regierung,
das wird vorübergehen". Die Regierung ist „unappetitlich“, weil sie der
neoliberalen Politik in Europa etwas entgegensetzt? Weil sie als demokratisch
gewählte Regierung ihr Versprechen einlöst und nicht weiter gegen die
Interessen der Menschen handelt? Das ist für Varwick „linksextrem“? Nach den
US-Ökonomen ist Tsipras der Vernünftige in der derzeitigen Krise, über die so
viel Falsches berichtet wird. Es ist der Extremismus der Mitte, die Gewalt des
Neoliberalismus und die Gewalt der europäischen Austeritätspolitik, die es zu
kritisieren gilt.
Als Schluss
des Interviews merkt Varwick an, dass man an den Tag denken müsse, an dem die
jetzige griechische Regierung verschwunden sei und Griechenland wieder ein
wichtiger Partner für die EU wird. Zu behaupten, dass eine europäische
Regierung kein "wichtiger" Partner ist, nur weil sie nicht der
Vorstellung eines Halleschen Politikprofessors entspricht, zeugt von einem kruden
Demokratieverständnis und ist eine Bankrotterklärung für die europäische Idee.
Aber eine Handvoll Banker_innen und Politiker_innen, die über Milliarden Euro zur
Bankenrettung entscheiden, scheinen für Varwick mehr Legitimität zu besitzen,
als eine Regierung, die bei einer Wahl fast die absolute Mehrheit erreichte.
Wir
verurteilen Varwicks Aussagen und fordern alle Studierenden auf, sich weiterhin
kritisch mit den Inhalten von Varwick auseinanderzusetzen. Wer nicht glaubt,
dass man Griechenland nur als "Bollwerk" gegen
"Flüchtlingshorden" und "Islamisten" "braucht",
wer nicht glaubt, dass die derzeitige griechische Regierung das Problem ist,
sondern die vollkommen verfehlte "Rettungspolitik" von EU, IWF und
EZB, wer glaubt, dass Refugees ein Recht haben, nach Europa zu kommen, um in
Sicherheit zu leben (also nicht nach Sachsen), wer auf eine europäische
"Familie" hofft, die solidarisch zueinander steht, die die Menschen
im Blick hat und nicht wirtschaftliche Erwägungen, wer glaubt, dass
geostrategische Überlegungen zur Konfrontation mit Russland und China nicht
geeignet sind, um eine friedlichere, bessere Welt zu schaffen, der sollte
Varwicks Aussagen kritisch reflektieren und ihn damit konfrontieren.
SDS.Die Linke MLU
[1] Das Interview ist abrufbar
unter: http://www.deutschlandfunk.de/nato-mitgliedschaft-griechenland-hat-zentrale-rolle-fuer.694.de.mhtml?dram%3Aarticle_id=324060 [1.07.2015]
[2] Unter anderem der US-Ökonom und
Nobelpreisträger Paul Krugman haben sich mit deutlichen Worten zur aktuellen
Krise geäußert: http://m.welt.de/wirtschaft/article143285340/US-Oekonomen-empoeren-sich-ueber-Europas-Inkompetenz.html [1.7.2015]
[3] Eine fundierte Analyse der
derzeitigen Krise in Griechenland ist von der RLS herausgegeben worden und
räumt mit einigen Mythen auf, die deutsche Politiker so gerne von sich geben: http://www.rosalux.de/publication/41614/ja-zur-demokratie-nein-zur-austeritaetspolitik-in-ganz-europa.html [1.7.2015]
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