Fundstück der Woche
Achtung: Dieses Fundstück der Woche beschäftigt sich mit
emotionaler und psychologischer Misshandlung, häuslicher Gewalt und
Vergewaltigung.
Am 12. Februar kommt die Verfilmung des „Erotik-Klassikers“
50 Shades of Grey ins Kino - Gerade rechtzeitig für große
Valentinstagsspezialvorführungen und noch mehr „die größte Liebesgeschichte des
Jahres“ und „so findest du deinen eigenen Christian Grey“ – Gehype. Dabei
sollte mensch die „50 Shades“- Trilogie durchaus kritisch sehen. Mehrere
Organisationen, die sich gegen häusliche Gewalt und Misshandlung aussprechen,
haben zu einem Boykott gegen den Film aufgerufen, unter anderem mit dem Hashtag
„#50dollarsnot50shades“, der dazu aufruft, 50 Dollar an Frauenschutzhäuser und
andere Organisationen zu spenden. Aber warum?
Blogger_innen, Feministinnen und Aktivist_innen haben
lautstark immer wieder kritisiert, dass in der „50 Shades“ - Trilogie häusliche
Gewalt und Misshandlungen normalisiert werden. Christian Grey würde Anastasia
Steele immer wieder misshandeln, ohne dass es in der Trilogie jemals so benannt
oder gar kritisiert wird.
Die meiner Meinung nach beste Zusammenstellung der Momente,
in denen Christian Grey auf verschiedenste Weise Gewalt gegen Anastasia
anwendet, findet man auf dem Blog „theramblingcurl.wordpress.com“ und dieser
Blogeintrag mit dem Titel „50 Abusive Moments in 50 Shades“ (lose übersetzt
etwa: 50 Misshandlungs - Momente in 50 Shades) ist das heutige Fundstück der
Woche.
Was für missbräuchliche Momente gibt es also in 50 Shades of
Grey?
Stalking – Es gibt mehrere Szenen, in denen Christian
Grey bereits vor dem „offiziellen“ Beginn seiner Beziehung mit Anastasia
unerwartet an Orten auftaucht, an denen sie ebenfalls ist, obwohl er dafür
keinen Grund hat. So fährt er bereits im zweiten Kapitel des ersten Buches
mehrere hundert Kilometer, um sie auf Arbeit zu besuchen – obwohl sie ihm nicht
gesagt hat, wo sie arbeitet. In einer späteren Szene ruft Anastasia ihn
betrunken aus einem Club heraus an. Christian verlangt wütend, zu erfahren, wo
sie ist, und, als sie sich weigert, ihm zu antworten und auflegt, ortet er
Anastasia über ihr Handy und taucht in besagtem Club auf. Zu diesem Zeitpunkt
sind die beiden nach wie vor nicht in einer irgendwie gearteten Beziehung.
Außerdem stellt sich im Laufe des Buches heraus, dass Christian Grey Anastasias
Adresse, Bankdaten, vertrauliche medizinische Informationen und Adressen von
Anastasias Familienmitgliedern kennt, ohne dass sie ihm diese gegeben hätte.
Aber der vermutlich heftigste Fall von Stalking kommt vor, als Anastasia
Abstand wünscht und ihre Mutter in Georgia besuchen fliegt, um in Ruhe
entscheiden zu können, wie ihre Beziehung mit Christian weiter gehen soll.
Nicht nur, dass Christian heimlich ihren Flug umbucht, damit sie erste Klasse
fliegen kann, nicht einmal 24 Stunden nachdem er ihr versprochen hat, ihr
Abstand zu geben, taucht er unangekündigt bei ihrer Mutter zu Hause auf.
Kontrollierendes und besitzergreifendes Verhalten –
In mehreren Szenen zeigt sich Christian als besitzergreifend und kontrollierend
Anastasia gegenüber und isoliert sie unter anderem bewusst von ihren Freunden
und ihrer Familie. So hat er einen Wutanfall, als ein männlicher Freund
Anastasia anruft und überredet Anastasia, eine Verschwiegenheitserklärung zu
unterzeichnen, damit sie mit niemandem über ihre Beziehung zu Christian
sprechen kann. In einer späteren Szene befiehlt er ihr, die Pille zu nehmen
und, als sie ihn daran erinnert, dass es ihr Körper ist, antwortet er: „Und
auch meiner“. Er kauft den Verlag, in dem sie nach ihrem Uniabschluss zu
arbeiten beginnt, damit er sie auf Arbeit kontrollieren lassen kann und als in
einer Galerie mehrere großflächige Fotos von ihr veröffentlicht werden, kauft
Christian alle, damit „kein anderer Mann sein Eigentum beglotzen kann“. Nachdem
er Anastasia in den Club gefolgt ist, in dem sie mit ihren Freund_innen
feiert, nimmt er die betrunkene Ana mit in sein Hotelzimmer, obwohl sie ihn an
diesem Abend nicht sehen wollte, damit ihr nichts passiert. Außerdem ist in
ihrem Beziehungsvertrag festgeschrieben, dass Christian Anastasia jederzeit
fallen lassen kann, sie aber darum bitten muss, aus der Beziehung entlassen zu
werden und Christian die Erfüllung dieser Bitte verweigern kann.
Emotionale Manipulation – In mehreren Szenen
manipuliert Christian Anastasia gezielt, damit sie genau das tut, was er will.
So sagt er ihr bereits ganz am Anfang ihrer Beziehung, er sei gefährlich und
sie solle sich von ihm fernhalten. Das ist eine klassische Taktik, die dafür
sorgen soll, dass Anastasia viel zu fasziniert ist, um auf Abstand zu gehen,
und sich außerdem geschmeichelt von seiner Aufmerksamkeit fühlt. Später gibt
Anastasia sich selbst die Schuld, als es schlecht zwischen den beiden läuft,
weil sie sich nicht an seine Warnungen gehalten hat, anstatt Christian Grey für
sein Verhalten anzukreiden. In einer späteren Szene erzählt Christian Anastasia
von seiner schlimmen Vergangenheit, die er als Rechtfertigung für sein
Verhalten nutzt. Anastasia müsse deshalb Verständnis für ihn zeigen – ein
weiterer Grund, aus dem sie sich nicht traut, sein Verhalten zu kritisieren.
Und wann immer Anastasia nicht genau das tut, was Christian von ihr verlangt,
wird er wütend und zieht sich zurück, ohne ihr irgendeine Erklärung zu geben.
Erst wenn sie haargenau seinen Wünschen entspricht, zeigt er ihr gegenüber
wieder Zuneigung, so dass sie sich wieder gewollt fühlt und vor Glück darüber
nicht weiter darüber nachdenkt.
Erzwungene Zustimmung – Circa im sechsten Kapitel
erklärt Christian Anastasia, dass sie einen BDSM - Vertrag unterzeichnen soll,
um mit ihm als seine permanente Submissive zusammen zu sein. Mehrere Kapitel
lang ist Anastasia sich dann nicht sicher, ob sie diese Beziehung überhaupt
möchte. Schließlich unterzeichnet sie den Vertrag zehn Kapitel später –
allerdings erst, nachdem Christian sie bewusst betrunken gemacht hat. Er gibt
dies auch offen zu. Angeblich war er der Meinung, sie würde nur dann ehrlich
mit ihm kommunizieren. Dabei ist klar, dass die unerfahrene und betrunkene
Anastasia dann leichter zu manipulieren ist, so dass er sie dazu überreden
kann, den Vertrag zu unterzeichnen und eine permanente D/s – Beziehung mit ihm
einzugehen. Eine betrunkene und noch dazu unter emotionalem Druck gegebene
Zustimmung zählt dabei aber eigentlich nicht – Anastasia ist in keinem Zustand,
in dem sie der Beziehung freiwillig und gut informiert zustimmen kann.
Androhung von (physischer) Gewalt – In mehreren
Szenen, bereits lange bevor Anastasia einer BDSM – Beziehung oder überhaupt
irgendeiner Art von Beziehung zugestimmt hat, droht Christian ihr mit
körperlicher Gewalt. Nachdem Anastasia mit ihren Freund_innen ausgegangen war
und sich weigerte, Christian ihren Aufenthaltsort zu verraten, sagt Christian
ihr: „Wenn du mein wärst, könntest du nach dem, was du gestern abgezogen hast,
eine Woche lang nicht sitzen“. In einer späteren Szene, noch bevor Anastasia
den Vertrag unterzeichnet hat, essen die beiden in einem Privatraum in einem
Restaurant. Als Anastasia erklärt, sie wäre lieber in der Öffentlichkeit, fragt
Christian, ob sie ernsthaft glaubt, das würde ihn aufhalten. In einer anderen
Restaurantszene isst Anastasia Christians Meinung nach nicht genug, so dass er
ihr droht, sie übers Knie zu legen. Dabei macht er explizit klar, dass es ihm
dabei nicht um sexuelle Erregung gehen würde, sondern nur darum, ihr weh zu tun
und sie damit zu bestrafen. Als Anastasia scherzhaft versucht, ihn eifersüchtig
zu machen, nachdem er ihr sie ohne ihr Wissen in die erste Klasse gesetzt hat,
droht Christian an, sie das nächste Mal in einer Kiste im Laderaum
transportieren zu lassen und sich auf seine spezielle Weise um sie zu kümmern.
Vergewaltigung/ sexualisierte Gewalt – Im 12. Kapitel
ist Anastasia sich sicher, dass sie es nicht aushalten würde, permanent
Christians Submissive zu sein und erklärt ihm in einer E-Mail, dass sie das
Ende ihrer bisherigen Beziehung und keinen weiteren Kontakt mehr zu ihm
wünscht. Christian taucht daraufhin bei ihr zu Hause auf und wirkt so wütend,
dass Anastasia beginnt, nach einer Fluchtmöglichkeit aus ihrem Zimmer zu
suchen. Er beginnt, sie zu verführen und die beiden landen auf Anastasias Bett.
Dann wird ihr klar, dass sie keinen Sex haben, sondern lieber über ihre
Beziehung miteinander reden möchte und sie teilt es ihm mit. Als er darauf
nicht reagiert, probiert sie aktiv, ihn von sich runter zu bekommen und sagt
„Nein“. Christians Reaktion: Er droht, er würde ihr die Füße zusammenbinden,
wenn sie probiert, sich zu wehren und sie knebeln, würde sie probieren, Lärm zu
machen. Weil Anastasia den Sex aber später genießt, ist das alles überhaupt
kein Problem.
Ist es aber doch. „50 Shades of Grey“ ist ein massiv
bekanntes und beliebtes Buch, dessen Erscheinen Tonnen von Artikeln darüber,
was „Männer von Christian Grey lernen können“ nach sich zog. Es ist eine
Trilogie, die jungen Mädchen geschenkt wird. Menschen spielen Szenen aus dem
Buch nach. Es gibt Datingseiten, auf denen mensch seinen eigenen Christian Grey
finden kann.
Dabei erhält „50 Shades“ gefährliche Mythen über Missbrauch
im Leben, zum Beispiel den „Er weiß gar nicht, was er tut! Er wurde
traumatisiert und das ist seine Art, damit umzugehen; es ist nicht seine
Schuld“ – Mythos oder den „Aber sie kommt doch immer wieder zu ihm zurück, also
kann es nicht so schlimm sein“ – Mythos oder den „Aber sie wusste doch, worauf
sie sich einlässt“ – Mythos.
Gerade emotionale und psychologische Misshandlung in
Beziehungen wird immer wieder übersehen, obwohl sie zu den häufigsten Formen
gehört. Fiktion beeinflusst, wie wir die Realität sehen und Christian Greys
bedrohliches, kontrollierendes Stalker – Verhalten als romantisch und die
größte Liebesgeschichte des Jahres zu verkaufen, kann (und meiner Meinung nach
wird es) dafür sorgen, dass Misshandlungen dieser Art weiter unerkannt bleiben,
sowohl von Bekannten der Betroffenen als auch von den Betroffenen selbst.
Deshalb ist die Beliebtheit von 50 Shades so ein großes Problem und deshalb ist
es notwendig, eine ernsthafte Konversation darüber zu führen.
(Den Orginalblogeintrag findet ihr übrigens hier: http://theramblingcurl.blogspot.de/2014/02/fifty-abusive-moments-in-fifty-shades.html
Weitere Infos sind hier: https://50shadesofabuse.wordpress.com/)
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